Radikalisierung von Individuen

Warum ein Individuum sich radikalisiert und unter Umständen auch zur Anwendung terroristischer Gewalt bereit ist, beschäftigt Wissenschaft, Politik und Gesellschaft gleichermaßen. Es gibt heute eine Fülle internationaler und nationaler Studien, die zeigen, dass insbesondere die Aneignung extremistischer Denkmuster und die Mitgliedschaft in einer extremistischen Gleichaltrigengruppe im Jugendalter häufig auch eine (sozio-)biografische Funktion erfüllt. Beides hilft bei der Bewältigung kritischer Lebensereignisse, der Lösung von Entwicklungsaufgaben oder bei der Überwindung einer Statuspassage. Es geht sowohl um die Reduktion von Unsicherheiten und Identitätskonflikten als auch um die Befriedigung allgemeiner Bedürfnisse wie Zugehörigkeit und Anerkennung. Besonders extremistische Gruppen bieten sich durch ihren autoritären Führungsstil sowie ihre Hierarchie und Rollenstruktur dafür an, liefern sie doch ihren Mitgliedern eine umfassende soziale Identität. Ideologien bieten Individuen wiederum subjektiv nachvollziehbare Deutungsmuster und individuelle Handlungsalternativen für ihre spezifischen Problemlagen an.

Aufgrund der Komplexität ist ein multifaktorieller Erklärungsansatz von individueller Radikalisierung, der die verschiedenen Analyseebenen verschränkt, sinnvoll: das soziale Handeln von Individuen oder Kleingruppen in Interaktion mit anderen (Mikroebene), die Wechselwirkung zwischen dem Individuum und sozialen Gruppen, Organisationen oder Institutionen (Meso-Ebene) sowie die gesellschaftlichen, strukturellen und kulturellen Einflüsse (Makro-Ebene).

Die Studie

PRIF Report 6/2018
Radikalisierung von Individuen: Ein Überblick über mögliche Erklärungsansätze
Fabian Srowig // Viktoria Roth // Daniela Pisoiu // Katharina Seewald // Andreas Zick

[Download PRIF Report 6/2018]

Der Film (UT DE/EN)

Film "Radikalisierung von Individuen" |  Länge 8"00' |  Realisation Philipp Offermann mit Manuel Steinert // Lilli Kannegießer |  Untertitel Manuel Steinert |  HSFK 2018

Handlungsoptionen

  1. Präventions-, Distanzierungs- und Deradikalisierungsmaßnahmen sollten bereits bei der Konzeptualisierung evidenzbasiert hergeleitet werden. Das bedeutet, dass neue Präventionsmaßnahmen nicht nur wissenschaftlich evaluiert, sondern von Beginn an wissenschaftlich fundiert begleitet werden sollten.
  2. Lokale Gegebenheiten, regionale extremistische Milieus, Akteure und Konfliktdiskurse müssen bei der Konzeption von Maßnahmen und Forschungsanträgen berücksichtigt werden. Die Adaption interkulturell divergenter Ansätze kann fundiert und zuverlässig erfolgen, dazu bedarf es allerdings methodischer Kompetenzen, die kaum in die Praxis vermittelt werden.
  3. Prävention sollte breit und universell ansetzen und somit nicht stigmatisierend wirken. Die sozialen Umwelten von extremistischen Akteuren und Gleichaltrigengruppen sowie radikale Milieus sollten bei der Präventionsarbeit berücksichtigt werden. Daher sollten auch Regelsysteme wie Schulen oder Jugendämter eingebunden werden.

Beteiligte Personen

Koordination

  • Andreas Zick
    Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG), Universität Bielefeld

Team

  • Daniela Pisoiu
    Österreichisches Institut für Internationale Politik (OIIP)
  • Viktoria Roth
    Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG), Universität Bielefeld
  • Katharina Seewald
    Kriminologischer Dienst Berlin
  • Fabian Srowig
    Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG), Universität Bielefeld