Online-Dimension von Radikalisierung

Radikalisierung vollzieht sich zwar primär in der „realen Welt“, Extremistinnen und Extremisten zeigen sich seit Bestehen des Internets als virtuose Internetnutzer, die nicht nur mit den technologischen Entwicklungen Schritt halten, sondern sie auch geschickt für ihre Zwecke einzusetzen wissen – als Propagandamittel, zur Rekrutierung, für Logistik und Finanzierung ihrer Machenschaften. Heute ist das Internet zu einem der zentralen Betätigungsfelder radikalisierter Gruppen geworden. Entsprechend existiert eine reichhaltige und zunehmende Forschung zur Frage, welche Rolle das Internet und die sozialen Medien für Radikalisierungs- und Deradikalisierungsprozesse spielt.

Zentral sind dabei zwei Erkenntnisse: Erstens ist „Online-Extremismus“ nicht sonderlich innovativ, sondern stellt lediglich eine orthodoxe Nutzung des Internets dar. Zweitens erweist sich die (insbesondere von politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern vorgebrachte) Annahme, dass klar zwischen „Online-„ und „Offline-Extremismus“ unterschieden werden könne, als Trugschluss. Maßnahmen zur Bekämpfung von „Online-Radikalismus“ können nur dann erfolgreich sein, wenn sie die Wechselwirkungen zwischen virtueller und realweltlicher Radikalisierung berücksichtigen.

Dabei stellt sich letztendlich die Frage, wie man dem Extremismus online entgegentreten kann. Mögliche Gegenmaßnahmen reichen von Zensur und Kontensperrung bis hin zur Stärkung der Zivilgesellschaft und der Entwicklung von Gegennarrativen. Nicht alle Maßnahmen sind jedoch gleichermaßen effektiv, beziehungsweise weisen bestimmte  Vor- und Nachteile auf, die es im jeweiligen Kontext zu berücksichtigen gilt.

Die Studie

PRIF Report 10/2018
Die Rolle des Internets und sozialer Medien für Radikalisierung und Deradikalisierung
Peter Neumann // Charlie Winter // Alexander Meleagrou-Hitchens // Magnus Ranstorp // Lorenzo Vidino

[Download PRIF Report 10/2018]

Der Film (UT DE/EN)

Film "Die Rolle des Internets" |  Länge 6"50' |  Realisation Philipp Offermann mit Manuel Steinert // Lilli Kannegießer |  Untertitel Philipp Offermann |  HSFK 2018

Handlungsoptionen

  1. Gegenmaßnahmen benötigen einen ausgewogenen Mix aus defensiven und offensiven Ansätzen. Politische Strategien müssen berücksichtigen, dass „Online-Extremismus“ nicht monolithisch ist. Zudem bedarf es stärkerer Forschung zur Effektivität harter gegenüber weicher Maßnahmen. Bspw. hat sich gezeigt, dass der Ansatz, bestimmte Inhalte zu zensieren oder Druck auf Plattformbetreiber auszuüben häufig nur dazu führt, dass sich extremistische Gruppierungen auf alternative Plattformen verlagern. Hier braucht es langfristiger Forschungsperspektiven.
  2. Es braucht eine bessere Zusammenarbeit öffentlicher (z.B. Staaten) und privater Akteure (z.B. Social-Media-Firmen oder Filesharing-Unternehmen) in der Bekämpfung von Extremismus. Auch hier besteht weiterer Forschungsbedarf, z.B. um auszuwerten, welche praktischen Resultate algorithmus-basierte Maßnahmen zeitigen.
  3. Diesbezüglich sollte mehr Zeit in die Untersuchung und Evaluierung von Public-Private-Partnerships aufgewendet werden, u.a. hinsichtlich der Frage, welchen Erfolg Kampagnen mit Gegennarrativen haben.
  4. Politische Entscheidungsträgerinnen und –träger sollten klar Stellung beziehen zu den rechtlichen und ethischen Implikationen harter Maßnahmen, wie Medienzensur und Kontensperrung. Es sollten mehr Ressourcen in die Erforschung rechtsextremer Internetnutzung verwendet werden und mit den derzeit dominierenden Forschungsarbeiten zum dschihadistischen „Online-Extremismus“ in Beziehung gesetzt werden.

Beteiligte Personen

Koordination

  • Peter Neumann
    International Centre for the Study of Radicalization and Political Violence (ICSR), London

Team

  • Alexander Meleagrou-Hitchens
    George Washington University, USA
  • Magnus Ranstorp
    Centre for Asymmetric Threat Studies (CATS), National Defence College, Sweden
  • Lorenzo Vidino
    George Washington University
  • Charlie Winter
    International Centre for the Study of Radicalization and Political Violence (ICSR), London